Ein Veteran erinnert sich: Gespräch mit Wolfgang Berger
( Die Fragen stellte Hermann Züchner, den viele gemeinsame Aufgaben mit Wolfgang Berger verbinden und verbunden haben )
HZ: Wolfgang, Du bist ein Veteran in unserer Schachorganisation. Es gibt nur noch wenige, die diese 50 Jahre bewußt mit erlebt und gestaltet haben. Was empfindest Du bei den Vorbereitungen für unser Jubiläum ?
WB: Meine Gedanken gehen zurück und ich stelle mir die Frage:
Wie hat sich unser schöner Schachsport in unserer Region entwickelt?
Sicher wurde schon lange vor der Gründung des Oldenburgisch-Ostfriesischen
Schachverbandes e. V. 1956 in dieser Region Schach gespielt. Nach den vorhandenen
Unterlagen wurde 1933 die bestehende Schachorganisation in " Großdeutscher
Schachbund " umbenannt. Für unseren Bereich wurde der Schachverband
Weser-Ems zuständig. Näheres konnte nicht explizit nachvollzogen
werden, da fast alle Unterlagen durch die Ereignisse des 2. Weltkrieges verloren
gingen.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Schachverband " Weser-Ems " u. a. mit den
Kreisen Bremen-Stadt, Bremen-Land, Wesermünde und Oldenburg-Wilhelmshaven
neu belebt, um den Spielbetrieb wieder aufnehmen zu können.
Ich selber fand dann 1952 meine Schachheimat in dem neu gegründeten
Schachverein " TURM " Wilhelmshaven-Nord.
HZ: Von diesem Verein aus erlebtest Du ereignisreiche Zeiten mit. Wie hast Du sie wahrgenommen?
WB: Als die Zahl der Vereine wuchs, gliederte sich der Kreis Oldenburg-Wilhelmshaven in die neuen Bezirke Ammerland-Oldenburg-Stadt und Wilhelmshaven-Friesland. Diese bildeten zusammen mit dem Bezirk Ostfriesland eine Interessengemeinschaft gegen die im Schachverband " Weser-Ems " dominierenden Bremer Vereine. Durch unüberbrückbare Probleme traten unsere Schachvereine 1955 aus dem Schachverband aus.
HZ: Damit wurde eine neue Struktur nötig. Wie wurde sie gefunden ?
WB: Um den Spielbetrieb in diesem Bereich fortführen zu können,
wurde für den 02. April 1956 zu einem Kongreß nach Wilhelmshaven
eingeladen, auf dem der Oldenburgisch-Ostfriesische Schachverband e. V. (
OOSV ) mit den Bezirken Ammerland-Oldenburg-Stadt Wesermarsch, Ostfriesland
und Wilhelmshaven- Friesland gegründet wurde. Später schlossen
sich die Schachvereine aus dem Bereich Südoldenburg dem Verband an.
Die treibenden Kräfte waren Professor Ekkehart Pfannenstiel aus Oldenburg,
Dr. Walter Wolffram aus Wilhelmshaven und Studienrat Franz Petzoldt aus
Emden.
Durch die Eingliederung in den Niedersächsischen Schachverband e. V.
( NSV ) zum 01. 01. 1979 wurde der OOSV umbenannt in Schachbezirk
Oldenburg-Ostfriesland e. V. ( SBOO) - Bezirk
V im NSV - .
HZ: Der Neubeginn war durch besondere Probleme gekennzeichnet. Wie habt Ihr sie gemeistert ?
WB: Der Beginn in der damaligen Zeit war auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse auch für Neugründungen nicht immer einfach. Viele Schachfreunde waren arbeitslos. So wurden Termine für Vorstandssitzungen, Kongresse und Spieltermine stark von den Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel beeinflußt, denn wer konnte sich schon ein Auto leisten. Das hieß für die Verantwortlichen für die Planungen immer wieder Kursbücher wälzen. Größere Entfernungen ( 30 - 40 km ) wurden oft bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad zurückgelegt.
HZ: Und dennoch wuchsen die Zahlen der Schachfreunde deutlich. Was war die Motivation?
WB: Das alles war nur durch die innere Einstellung zu unserem schönen Schachsport möglich, der zu diesem Zeitpunkt noch " Hobby " genannt wurde. Erst nach der Aufnahme in den Landessportbund Niedersachsen e. V. ( LSB ) 1988 wurde unser Hobby in " Schachsport " aufgewertet.
HZ: Höre ich hier bei Dir, daß Du die Entwicklung nicht nur positiv gesehen hast ?
WB: Die aus meiner Sicht tolerantere Einstellung in der Gesellschaft
machte sich auch in der Gemeinschaft der Schachfreunde positiv bemerkbar.
Das war u. a. gut erkennbar an den allgemein kurz formulierten Ordnungen,
wie Satzung, Turnierordnung usw.
Die heißen Debatten auf den Kongressen und die Proteste
anläßlich der Turniere und Wettkämpfe kamen aber erst zu
einem viel späteren Zeitpunkt. Da immer mehr Schachfreunde mit
Entscheidungen nicht einverstanden waren, mußten sich leider immer
häufiger die ordentlichen Gerichte mit intern getroffenen Entscheidungen
befassen. Daher mußten unsere Ordnungen immer wieder so geändert
werden, das sie " justitiabel " wurden.
Zu meinem Bedauern mußte ich häufig feststellen, dass hier die
jungen Schachfreunde verstärkt in Erscheinung traten. Dabei sind es
wohl nicht so sehr die Spieler selber, als vielmehr die Funktionsträger,
die hier aktiv wurden.
HZ: Machte und macht sich das auch bei euch in den Vereinen bemerkbar ?
WB: Ja, aber heute ist sichtbar geworden, daß ein weiterer wunder
Punkt die Koordinierung des Spielbetriebes ist. Ich bin mir bewußt,
das dieses Problem nicht einfach zu lösen sein wird, da der Spielbetrieb
im Jugend- und Erwachsenenbereich von Terminüberschreitungen tangiert
wird.
So erfreulich der Anstieg im Schul- / Jugendbereich ist, wurde es immer
schwieriger, Freundschaftswettkämpfe zwischen Vereinen und Bezirken
in den Spielbetrieb zu integrieren. Außerdem behindern die vielen "
Open " den Spielbetrieb als Wettkampf sehr stark. Dazu kommt, dass viele
Schachfreunde nicht mehr bereit sind, an Turnieren teilzunehmen, die zur
Teilnahme auf höherer Ebene berechtigen. Die Preisgelder bei den Open
ziehen oft stärker als die Qualifikation für eine Meisterschaft
auf höherer Ebene.
HZ: Wünschst Du Dir manchmal bestimmte Verhaltensweisen aus den vergangenen Jahrzehnten zurück ?
WB: Nicht nur der Spielbetrieb hat sich aus meiner Sicht nicht so entwickelt, wie es wünschenswert wäre. Auch die Teilnahme an Sitzungen / Kongressen und Vereinsfesten hat sich im Laufe der Jahre rückläufig entwickelt. So gehen die Teilnehmerzahlen an den nun einmal erforderlichen Kongressen zurück, auf denen die notwendigen Entscheidungen für ein vernünftiges Zusammenleben in der Gemeinschaft getroffen werden. Zum anderen frage ich mich : wo gibt es noch die schönen Vereinsfeste aus früheren Jahren ?
HZ: Mußten wir als Sportorganisation nicht mit diesen Fragen rechnen ?
WB: Seit längerer Zeit muß ich immer häufiger feststellen,
dass Schachfreunde nicht mehr bereit sind, Funktionen in den Vorständen
zu übernehmen, was oft zu einer "Ämterhäufung " mit all ihren
Problemen führt. So können die Gewählten oft nicht alles unter
einen Hut bekommen, wie z. B. Privatleben, Beruf und nicht zuletzt die
Betätigung am Schachbrett.
Früher gab es oft mehrere Kandidaten für die Wahl von
Funktionsträgern. Heute muß oft jemand regelrecht überredet
werden, um eine Aufgabe zu übernehmen.
HZ: Aber Dir macht noch mehr Sorge ?
WB: Zusätzlich haben verschiedene andere Einflüsse unseren
schönen Schachsport stark verändert. Zu nennen ist hier aus meiner
Sicht u. a. der Einfluß durch die "Computerisierung" unserer Gesellschaft
und die daraus resultierenden Möglichkeiten, durch Schachcomputer und
Teilnahme an Turnieren im Internet. Durch die Einführung von elektronischen
Schachuhren wurden Zeitgutschriften eingeführt.
Auch bei den Kurzpartien hat sich im Laufe der Zeit viel verändert.
Während Blitzpartien früher mit speziell dafür hergestellten
Schachuhren gespielt wurden, findet man diese Spielart kaum noch. Bei diesen
Schachuhren ertönte nach 5 bzw. 10 Sekunden ein Klingelzeichen, zu dem
dann gezogen werden mußte. Diese Art, Blitzturniere zu spielen, wurde
durch die 5 - 10 Minuten-Partien abgelöst. Dazu kamen Schnell-Schachturniere
mit Spielzeiten von 15 - 20 Minuten Spielzeit pro Spieler und Partie. Auch
die Turniere um die Weltmeisterschaften haben sich im Laufe der Zeit stark
verändert. Die Turniere nach dem " Chess 960 " System dürfen hier
auch nicht unerwähnt bleiben. Viele Abarten sind im laufe der Zeit gekommen
und wieder von der Bildfläche verschwunden.
HZ: Wenn Du als Veteran ein Fazit ziehst, was ist Dir wichtig ?
WB: Ich weiß, dass es sich bei den geschilderten Problemen nicht um eine Entwicklung handelt, die nur in unserem Bereich besteht. Auch von Verantwortlichen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen ist dies immer wieder zu hören. Wir sollten uns aber intensiv bemühen, diesem Rückgang Einhalt zu gebieten. In all den Jahren ( seit 1951 ) habe ich viele Schachfreunde kennen gelernt, die oft aus den verschiedensten Gründen nicht mehr bereit waren, für die Gemeinschaft tätig zu sein oder sich aus beruflichen oder sonstigen Gründen zeitweise oder ganz von unserem schönen Schachsport zurückzogen. Viele Neugründungen von Schachvereinen haben sich nicht halten können, da niemand bereit war, die nun einmal erforderlichen Tätigkeiten für einen ordnungsgemäßen Spielbetrieb zu übernehmen.
HZ: Wolfgang, herzlichen Dank für dieses Gespräch !
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