Jubiläum des Schachklubs Jever von 1914
Ein Bericht von 1989
"Strafe für Fehlen 20 Pfg."-der Schachklub erinnert sich
1989 - ein Jahr, das in vielfacher Hinsicht zur Erinnerung und zur Besinnung zwingt: vor 40 Jahren Gründung der beiden deutschen Staaten, vor 50 Jahren Beginn des Zweiten, vor 75 Jahren Beginn des Ersten Weltkrieges. Wie unbedeutend erscheint vor diesem Hintergrund doch das Jubiläum des 75. Geburtstages, das der Schachklub Jever in diesem Jahr feiern darf! Wie unwichtig scheint die Beschäftigung mit der Geschichte eines kleinen Vereins, genauer: eines kleinen Kleinstadtvereins!
Aber Geschichte ist eben nicht nur Geschichte der epochalen Ereignisse. Auch der Alltag hat seine Geschichte und seine Lehren, und zum Alltag gehört das Leben und Wirken der Vereine. Wer sich einmal mit der Geschichte seines Vereins beschäftigt hat, wird erstaunt sein, wie sehr sich in ihr die jeweilige Zeit widerspiegelt - und wieviel Besinnliches und Amüsantes sich dabei entdecken läßt. Unser Schachklub wird also ausgerechnet am Vorabend des Ersten Weltkrieges aus der Taufe gehoben. Es läßt sich nicht feststellen, wie die Gründungsmitglieder die internationalen Spannungen ihrer Zeit einschätzten und ob der Terrain aufgrund der internationalen Lage jemals zur Debatte stand. Auf jeden Fall sorgte ein Herr Kaufmann Lammers mit einem Inserat für 1,80 Mark im Jeverschen Wochenblatt vom 12. Februar 1914 gewissermaßen für die erste "urkundliche Erwähnung" unseres Vereins. Die Anzeige im 'Wochenblatt' ("Telephon Nr. 4" läßt sich der Quittung entnehmen) lud zur Gründung unseres Klubs in das Hotel "Schwarzer Adler". Als Einladenden für die Gründungsversammlung am 12. 02. 1914 nennt das Protokoll den damaligen Organisten Schmidt, der neben Herrn Lammers noch drei weitere Schachfreunde begrüßen durfte und von den Anwesenden zum ersten Vorsitzenden (nicht zum Ersten Vorsitzenden!) gewählt wurde.
Die fünf Herren, die - wie es auch noch in den 20er Jahren üblich
ist - mit Berufsbezeichnung in den Klubunterlagen genannt werden, scheinen
allerdings nicht sehr optimistisch in die Zukunft des Vereins geblickt zu
haben; denn Disziplinlosigkeit wird bereits in dieser ersten Sitzung zum
wichtigen Thema: "Strafe für Fehlen 20 Pfg., Entschuldigung
ausgeschlossen".
Ansonsten bereitet man das Vereinsleben mit großer Gründlichkeit
vor. Ein Protokollbuch für 1,25 M wird angeschafft, das sämtliche
Spiel- und Versammlungsabende dokumentieren soll -und Versammlungen sind
allmonatlich vorgesehen -, die Mitgliederzahl steigt binnen einer Woche rapide
um stolze 40 % (auf sieben, woran sich bis Oktober 1915 nichts ändert),
und die Vereinssatzung kann bereits in der Monatsversammlung vom 3. März
1914 verabschiedet werden. Auch ein erstes mehrwöchiges Klubturnier
(jeder gegen jeden mit wechselnden Farben) wird durchgeführt.
Es bleibt vorerst das einzige Turnier; der Krieg ist nicht zu ignorieren. Im Oktober 1915 löst sich der Schachklub (drei Mitglieder sind anwesend) auf.
Die Wirren der Anfangszeit der neuen Republik lassen ein Wiederbeleben des
Schachklubs zunächst nicht zu. Die Neugründung im März 1919
und die Spielabende, die offenbar bis in den Oktober hinein statthaben, finden
in der Öffentlichkeit kein Echo, obwohl doch (oder weil?) auf Beiträge
verzichtet wird. Erst im März 1926 findet der Schachsport wieder genug
Liebhaber, die auch an Vereinsaktivitäten interessiert sind. Zwölf
"Herren" folgen der Einladung des damaligen Amtshauptmannes und späteren
Landesministers Tantzen, gründen die "Schachvereinigung Jever" (ein
Name, der sich nicht durchsetzt), wählen wieder einen Organisten zu
ihrem Vorsitzenden, diesmal einen Herrn Kugler, und beschließen, weitere
"Herren" zu den Spielabenden einzuladen - wie selbstverständlich ist
von Damen noch keine Rede.
Für den Klub beginnt die erste Blütezeit, wofür wohl drei
Gründe zu nennen sind, die auch heute noch jeder Verein
berücksichtigen muß, will er nicht an Attraktivität verlieren:
eine relativ breite Mitgliederbasis (18), Betonung des Wettbewerbcharakters
des Schachs und aktive Öffent1ichkeitsarbeit.
Der Schachklub sucht die Auseinandersetzung mit Nachbarvereinen und findet
mit Varel 1926 den ersten Gegner. Die Presse beobachtet diesen Wettkampf
und hat anschließend außer dem Ergebnis (9 : 9) zu berichten:
"Am ersten Brett wurde (für Jever erstmalig) mit Zeitkontrolle (Schachuhr)
gespielt". Wieviel ist uns heute doch selbstverständlich!
Weitere Wettkämpfe, u.a. mit Aurich und WiIhelmshaven folgen. Gleichzeitig
gewinnen das regionale und das überregionale Schach an Bedeutung. Die
Presse Jevers berichtet über den "Kongreß des Schachverbandes
Weser-Ems" 1926 ebenso ausführlich wie über ein Turnier in New
York (früher: Newyork) 1927, bei dem sich keine geringeren als Capablanca,
Aljechin, Nimzowitsch, Marshall u. a. um die Plätze stritten.
Das Simultanspiel, damals Reihenspiel genannt, wird beliebt. Der Schachclub
organisiert in den nächsten Jahren mehrere solcher Veranstaltungen.
1928 gelingt es ihm, den Berliner Großmeister Sämisch zu verpflichten,
der 'blind', was seine Spezialität ist, gegen 10 Spieler antritt. 1931
ist Brinckmann zu Gast in Jever.
Schließlich bemüht sich der Klub um Attraktivität durch ein
Angebot von Anfängerkursen und richtet 1930 erstmals einen
Schachkongreß des Schachverbandes Weser-Ems aus. All die Bemühungen
verhindern jedoch nicht, daß es um den Verein in der Krisenzeit ab
1930/31 wieder stiller wird. Am Winterturnier 1930/31 beteiligen sich lediglich
noch neun Mitglieder, 1932/33 sind es nur noch sieben. Das Turnier wird nicht
einmal zu Ende gespielt.
Der Verein existiert auch während der Herrschaft der Nationalsozialisten,
allerdings offenbar nur noch als Gemeinschaft von Freizeitspielern, denen
Öffentlichkeitsarbeit nicht wichtig ist. Erst 1939 - man bereitet den
25. Geburtstag des Klubs vor - nimmt die Presse von ihm wieder Notiz - und
hält es für erforderlich, den Lesern die Schachspielregeln zu
erklären.
Die Unterlagen, die aus jener Zeit erhalten sind, dokumentieren sehr
eindringlich, wie rasch sich die Einbindung in das neue System vollzogen
hat und wie sehr sich Machthaber der Bedeutung der Vereine offenbar bewußt
waren. Das "Rundschreiben Nr. 2" vom 17. Mai 1933 des "Landesverbandes Weser/Ems
im Großdeutschen Schachbund", wie es fortan statt "Deutscher Schachbund
e. V." heißt, ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlußreich.
Auffällig der Stil: "Die Vereine müssen rechtzeitig und gut vorbereitet
sein. Überall ist zum Beitritt aufzufordern. Ebenso haben die einzelnen
Vereine ... Mitteilung zu machen ... Solche Vereine sind aufzufordern, -sich
dem Verbände unverzüglich anzuschließen". (Dabei geht es
doch nur um eine Werbewoche für das Schach!) Auffällig die Eile:
"Herr Reichsminister Dr. Goebbels hat die ihm vom Vorstand des geeinten
Großdeutschen Schachbundes angetragene Ehrenpräsidentschaft
angenommen". Auffällig auch dies: "Unter den Symbolen des geeinten
Vaterlandes marschiert nun auch das deutsche Schach" und "Die auf dem Boden
des Klassenkampfes stehenden schachlichen Organisationen haben keinen Platz
mehr im deutschen Schach". Selbstverständlich legte man die Besetzung
der Vereinsämter mit "Nationalsozialisten", wenigstens aber mit "gut
nationalen Leuten" nahe, und die schachlichen Briefwechsel enden nun oft
mit "Mit deutschem Schachgruß -Heil Hitler!".
Doch Vorsicht vor zu schnellen Schlüssen! Auch vor 1933 wählte
durchaus nicht jeder Schachfreund die etwas steife Formulierung "Mit
hochachtungsvoller Begrüßung". Zu einem Problemlösungsturnier
wird der Schachklub bereits 1927 "Mit deutschem Schachgruß!"
eingeladen.
Das organisierte Schachleben in Jever beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg
erst wieder Anfang 1948 mit einer Generalversammlung, auf der "Schachfreund"
H. Harms (die Berufsbezeichnung ist nun aus den Protokollen verschwunden)
zum Vorsitzenden gewählt und eine Satzung verabschiedet wird, der man
die unmittelbare Vergangenheit anmerkt. § 2 fordert: "Keinerlei Politik
irgend einer Art", "keine politischen Debatten". Der Schatten der Vergangenheit
ist spürbar.
Herausragende Persönlichkeit des Schachklubs wird in den 50er und 60er
Jahren zunächst Leo Hardell, dessen spielerisches Können und
Theoriekenntnisse eine allgemeine Steigerung des Leistungsniveaus und
größeren Zulauf für den Verein bewirken. Stolze 25 Namen
nennt das Mitgliederverzeichnis vom März 1959, darunter erstmals zwei
Damen. Was das heißt, wird vielleicht deutlicher, wenn man weiß,
daß eine große überregionale Boulevard-Zeitung, deren Namen
jeder kennt, 1962 ein Interview mit der damaligen deutschen Schachmeisterin
Annemarie Brandler mit der Schlagzeile "Haben Frauen Verstand?" versieht
- ohne sich zu schämen.
Mit der Wahl Helmut Herrmanns zum Vorsitzenden tritt 1959 dann der Mann an
die Spitze des Klubs, der wie kein anderer den Verein geprägt hat, der
wie kein anderer mit ganzem Herzen für ihn zu wirken bereit war. Typisch
fast der Anfang: Innerhalb weniger Wochen schnellt die Mitgliederzahl von
25 auf 38 hoch - und stabilisiert sich dort. 28 Jahre steht Helmut Herrmann
dem Verein vor und macht ihn zu einer festen Größe im Schachsport
unseres Raumes. Immer wieder bringt der Klub hervorragende Jugendspieler
hervor, und immer wieder verkraftet er deren Abwanderung, ein Problem, vor
dem Vereine kleiner Städte in peripherer Lage in besonderem Maße
stehen. Als die Schulmannschaft des Mariengymnasiums 1984 den Titel des Deutschen
Vizemeisters erringt, gehören drei der vier Spieler dem Schachklub Jever
an.
Nicht unerwähnt bleiben soll hier die Unterstützung, die uns in
dieser Phase und bis heute durch die Stadt Jever zuteil wird, und es sei
gestattet, daß ich in diesem Zusammenhang und mit Dank den ehemaligen
Bürgermeister Ommo Ommen erwähne. Die Schach-Stadtmeisterschaft,
die in diesem Jahr zum 26. Male ausgetragen wird, ist 1964 erstmals
möglich, weil die Idee unseres Schachfreundes Edgar Apel bei Ommo Ommen
auf offene Ohren stieß.
Welche Bindungen Helmut Herrmann an den Verein schuf (bis Ende der 60er Jahre
ist es durchaus üblich, daß man sich für sein Fehlen am Klubabend
manchmal sogar schriftlich - ent chuldigt), zeigt sich nach seinem Tod 1987.
Zwei Jugendspieler, Ralph Philipps und Sven Helmer, denen die Belastung des
Abiturs bevorstellt, übernehmen aufopferungsvoll kommissarisch die
Vorstandsarbeit und wirken so der drohenden Krise entgegen, Ein Dankeschön
sei an dieser Stelle auch hierfür noch einmal gesprochen.
Und heute? 45 Mitglieder zählen wir momentan (9/89); das hat es in der 75jährigen Geschichte des Klubs noch nicht gegeben. Fünf Mädchen gehören zu uns, und auch diese Zahl ist Rekord und Grund, stolz zu sein. Die Jugendschachgruppe ist mittlerweile ein Tummel- und Wusel- und Knobelplatz für bis zu 40 Kinder und Jugendliche geworden, und der Spielabend bietet Gegner für alle Spielstärken und Spaß für (fast) alle Gemüter. Und wer's nicht glaubt? Der komme doch einfach einmal vorbei!
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